Foto: Stefan Otto Ruiz

PD Dr. Agnes Bidmon

Habilitationspreis der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie

Dokufiktionales Erzählen. Narrative Liminalität in der Gegenwartsliteratur


Das Habilitationsprojekt analysiert eine seit den 2000er Jahren in unterschiedlichen Mediendispositiven prominente Erzählweise der Hybridisierung von dokumentarischem und fiktionalem Erzählen, die häufig unter dem Label ‚Dokufiktion‘ firmiert. Damit nimmt es sich einem Desiderat im Forschungsdiskurs an, da trotz der anhaltenden Popularität dieser Erzählweise erstaunlicherweise bislang noch keine Grundlagenstudie vorliegt.

Ihr differenziertes Beschreibungsinstrumentarium entwickelt die Studie ausgehend von der Beobachtung, dass dokufiktionales Erzählen im Forschungsdiskurs immer wieder als ‚Grenzgang‘ oder ‚Grenzüberschreitung‘ beschrieben wird. Sie greift daher auf Victor Turners Liminalitäts-Konzept als Beschreibungsmöglichkeit für Schwellenphänomene zurück und macht das ursprünglich ethnologische Konzept für die Kategorien der kommunikativen Ordnung produktiv. Denn alle untersuchten dokufiktionalen Texte verfügen über ein gemeinschaftliches Strukturprinzip, das – in der Diktion Victor Turners – als „Anti-Struktur“ bezeichnet werden kann. Sie gehören also weder einer noch einer anderen Struktur bzw. Kategorie und der sie definierenden kommunikativen Ordnung eindeutig an, sondern befinden sich stets zwischen zwei verschiedenen Strukturen und partizipieren in je unterschiedlicher Gradierung an beiden.

Für die Rezipient:innen bedeutet dies, dass sie im Umgang mit dokufiktionalem Erzählen über „Ambiguitätstoleranz“ verfügen müssen und damit über eine Fähigkeit, die gerade gegenwärtig hohe Relevanz in einer „flüchtigen“ Gegenwartsgesellschaft besitzt, in der traditionelle dichotomische Ordnungen und klare Zuordenbarkeiten porös geworden sind und ihr einstmals orientierungsstiftendes Potenzial irreversibel eingebüßt haben. Denn im Unterschied zu Turners Untersuchungen bilden „interstructural situations“ kein Übergangsstadium mehr und werden abschließend aufgelöst, indem ein Übergang in eine neue gesicherte Ordnung erfolgt. Vielmehr ist die Unsicherheit in zahlreichen gesellschaftlichen Sektoren und Diskursen in einer „bedrohlichen Welt“ auf Dauer gestellt und muss ausgehalten werden.

 

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